Ich möchte hier nochmal auf das Thema des letzten Textes eingehen, nämlich die Höflichkeit im Umgang miteinander.
Was braucht es denn, um Kommunikation ( und nichts anderes ist auch das Reiten: die Kommunikation zweier Körper) friedlich und höflich zu gestalten?
Es braucht vor allem Arbeit an mir selbst. Zack. So einfach.
Oder eben gar nicht einfach. Höflichkeit oder Freundlichkeit wird leider noch viel zu oft mit Schwäche gleichgesetzt, die Idee, dass ich Grenzen nur dann setzen kann, wenn ich auch mal auf den Tisch haue, hält sich hartnäckig.
Und das ist ja auch verständlich. Wenn ich einmal ein Donnerwetter loslasse, schnappen erst mal alle nach Luft und das unerwünschte Verhalten hört – zumindest kurzfristig – auf. Man könnte also sagen: Prima, manchmal muss man eben laut werden, dann geht das schon.
Versuchen wir einen anderen Blickwinkel einzunehmen… Was könnte so eine – völlig verständliche und auch mir nicht unbekannte – Reaktion meinem Gegenüber noch sagen?
Sie könnte sagen: Ich bin nicht in der Lage, meine Grenze rechtzeitig zu erkennen, sondern merke erst, dass Du darüber weg gegangen bist, wenn es schon zu spät ist. Ich habe also kein gutes Gefühl für meine Bedürfnisse. Wie soll ich Deine erkennen und ein/e verlässlche/r Partner/in sein?
Sie könnte auch sagen: Ich bin nicht geerdet genug, um Dir auf anderer als emotionaler Ebene zu begegnen. Wie soll ich Dir ein/e verlässliche/r Partner/in sein?
Oder sie sagt: Ich habe keine Idee, wie ich Dir mein Anliegen verständlich machen soll, also greife ich zu Druck. Wie kann ich ein/e gute/r Lehrer/in
Oder: Ich kann Dein Verhalten nicht deuten, mir fehlt die Empathie. Wie kann ich in eine gute Beziehung mit Dir gehen?
Oder: Mir sind Deine Bedürfnisse nicht wichtig. Wie sollst Du mir vertrauen?
Das sind mögliche Lesarten und vielleicht auch etwas provokative. Es gibt bestimmt noch viele andere.
Höflich und freundlich bleiben zu können ist der schwierigere Weg.
Er bedeutet, dass wir Klarheit brauchen. Klarheit in der Zielformulierung, Klarheit in der Umsetzung, wir müssen uns über die Schwierigkeit der Anforderung bewusst sein und darüber, ob unsere gemeinsamen Fähigkeiten den Anforderungen entsprechen.
Wir brauchen Klarheit über unsere eigenen Bedürfnisse, eine friedliche Distanz zu unseren Emotionen, ein Bewusstsein über unsere eigen Leistungsfähigkeit.
Wir müssen uns achtsam in der Beziehung zu verschiedenen Pferden erleben und ehrlich erkennen, wer welche Gefühle in uns triggert.
Ich erlebe zum Beispiel immer wieder, dass eins meiner Pferde mich in ca 3 Sekunden kurz vor der Explosion hat. Bei allen anderen ist das nicht so. Mit der Explosion würde unsere Beziehung aber nie über einen gewissen Punkt hinaus kommen. Ich spüre also ganz genau hin, wann ich was wie lange mit ihr machen kann. Sowohl, wie lange sie sich konzentrieren kann ( 3 Sekunden ;) ) und wie lange ich geduldig sein kann ( manchmal 5..)
Wenn uns doch mal der Kragen platzt, ist das nur menschlich, es ist aber ein interessantes Experiment über den Punkt: Das war mal nötig! hinauszugehen. Ersetzt im Nachgang „ Manchmal muss ich halt ein Machtwort sprechen“ mal mit „ Im diesem Moment war das die beste Reaktion, die mir möglich war. Ich suche nach einer noch besseren“ Das kann ungeahnte Welten öffnen. Manchmal hilft es übrigens, diese Welten nur mit viel Schokolade zu betreten, denn es ist eine herausfordernde Reise…
Wer höflich sein möchte, muss sich erden, sich überprüfen und gegebenenfalls verändern. NICHT zurückstecken. Im Gegenteil, Höflichkeit auf Augenhöhe benötigt ständige achtsame Präsenz, Empathie und Lernwillen.
Höflichkeit hat nicht das geringste mit Schwäche zutun. Übrigens auch nicht unbedingt mit demokratischen Strukturen. Sie braucht aber ein klar formuliertes Ziel und auch die Flexibilität, das Ziel oder auch nur den Weg dahin zu verändern. Sie braucht ein klaren „ja“ zu uns und unserem Tun. Sie braucht ein offenes Herz. Sie ist, wie eingangs erwähnt, Arbeit an uns selbst.
Das Geschenk, das wir für all dieses Herumgearbeite und Gewachse bekommen, ist eine angstfreie, vertrauensvolle Beziehung auf Augenhöhe in der beide Partner sich zeigen dürfen.
Viel Freude, Eure Yvonne
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