… und der Segen auch!
Wer sich zum ersten Mal mit der Tellington Methode beschäftigt, wird vielleicht – vor allem wenn der erste Kontakt über die Bücher zustande kommt – das Gefühl haben, dass man es auch übertreiben kann mit seltsamen Übungen und bunten Bändern.
Ich stelle das einfach mal so in den Raum, weil es mir damals exakt so ging.
Da gab es zum Beispiel eine mehrschrittige Vorbereitung zum Anbinden ( O-Ton meiner Gedanken vor 10 Jahren: Meine Güte, oder man bindet es halt an, so schwer ist das ja wohl nicht…)
Naja, was soll ich sagen, die Yvonne von vor zehn Jahren hatte eben ihre Perspektive, die von heute eine andere.
Ich möchte Euch wieder an einem Praxisbeispiel zeigen, warum die Ideen der wunderbaren und klugen Linda Tellington-Jones einfach unschlagbar sind.
Eine Kundin bildet mit mir zusammen ihr Jungpferd aus. Die Stute ist eine junge Appaloosa – Dame und kann kann quasi rechnen und schreiben. Allerdings hat sie auch ziemlich klare Vorstellungen davon, wie die Welt funktioniert und nebenbei noch einen ungeheuren Ehrgeiz. Sprich, wenn was nicht kappt, oder sie nicht versteht, was sie tun soll, oder noch schlimmer, nicht weiss, wie sie es tun soll, wird man… nun ja, ungehalten… Zudem hat sie eine recht kurze Konzentrationsspanne.
Auf der anderen Seite ist sie wahnsinnig mutig, motiviert und neugierig. In meinen Augen eine Mischung mit Potential zum Knalleffekt, denn gerade bei den augenscheinlich entspannten, lerneifrigen und zugewandten Pferden verpassen wir oft den Moment der Überforderung.
Dieses tolle Pferd bereiten wir also gerade auf das Leben als Reitpferd vor.
Ein wichtiger Schritt dabei ist das Fahren vom Boden und das wird in viele viele kleine Schritte unterteilt ( lest dazu gern nochmal im letzten Text nach).
Der Gedanke dahinter ist, dem Pferd die Chance zu geben, die vielen Herausforderungen, die in sich hinter einer oberflächlich betrachtet einfachen oder alltäglichen Aufgabe verbergen, einzeln zu bewältigen. So wird der nächste Schritt viel einfacher. Gleichzeitig ermöglicht diese Vorgehensweise uns aber auch, zu sehen, wo genau das Problem liegt. Das vergrößert natürlich enorm die Unterstützungsmögichkeiten.
Am Beispiel der Stute zeigte sich folgendes: Wie wir erwarteten störten sie weder die Seile noch das Körperband, auch der Halsring war kein Problem.
Aaaber sie hat die Angewohnheit auf alle, die hinter ihr laufen zu warten, ob es Spaziergänger, Hunde oder Reitlehrerinnen sind, sie bleibt stehen, wartet bis der andere bei ihr ist, begrüßt ihn und geht dann weiter. Angst oder Sorge ist ihr dabei nicht anzumerken. Trotzdem bereitet es ihr Schwierigkeiten voraus zu gehen wenn sich jemand von hinten nähert und beim Fahren vom Boden ist natürlich jemand hinter ihr. Genauso wie später auch beim Reiten.
Dieser Zusammenhang wurde der Kundin – und wenn ich ganz ehrlich sein soll, in vollem Umfang auch mir – erst in unserem Minidetailszenario bewusst. Klar, man kann jetzt sagen, ist doch logisch, hätte ich nicht anders erwartet. Ich weiss nicht, wie es Euch geht, ich bin schon ab und zu in einer Situation, in der ich etwas eigentlich weiß, aber plötzlich wird es mir erst richtig bewusst. Das sind die berühmten Aha-Momente. Ein Puzzleteil, das vorher irgendwie da war findet plötzlich seinen Platz und das Gesamtbild wird wieder etwas voller. Ich stelle mir vor, wir hätten diesen Zwischenschritt nicht gemacht… Vielleicht, nur vielleicht hätten wir beim eigentlichen Anreiten deutlich mehr Probleme gehabt, weil die Schwierigkeit der Stute für uns nicht mehr so klar zu erkennen gewesen wäre. Der Übertrag vom Spaziergänger von hinten zum Reiter oben drauf wäre vielleicht zu groß gewesen ( ich traue uns ja nicht viel zu, wa??) So ist es jetzt möglich, mit ihr in kleinen Häppchen und mit vielen erfolgsversprechenden Aufgaben an genau der individuellen Herausforderung in Ruhe zu arbeiten und ihr diesen Stressfaktor zu nehmen.
Ich erlebe immer wieder, dass auch sehr gelassene Pferde einen einzelnen Schritt als schwierig empfinden, oft sind es ganz unerwartete Dinge. Hier ist es einfach wunderbar möglich Unterstützung zielgerichtet anzubieten. Das fördert das Vertrauen in sich selbst und den Partner Mensch immens.
Ich möchte Euch gern ermuntern, Lektionen auf ihre zugrundeliegenden Anforderungen an das Pferd – oder auch Euch – hin zu überprüfen. Das kann alles, vom ruhigen Stehen am Anbinder ( anspruchsvoll für ein Fluchttier!), über Hufe geben (aaanspruchsvoll für ein Fluchttier) hin zum Fliegenden Wechsel ( anspruchsvoll für den Menschen ;) ) sein.
Je klarer wir erkennen können, an welcher Stelle es hapert, desto früher können wir unterstützen und Frust auf beiden Seiten vermeiden.
Viel Freude, Eure Yvonne
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